Müssen Lehrer eine Legasthenie in der Notengebung berücksichtigen?

Müssen Lehrer eine Legasthenie in der Notengebung berücksichtigen?

Alexander hat Schwierigkeiten beim Lesen und Schreiben, vertauscht Buchstaben und kann den Inhalt von Gelesenem nur unvollständig wiedergeben. Ein Test hat ergeben, dass Alexander legasthen ist. Seit einigen Monaten besucht er daher ein Legasthenietraining. Als seine Mutter das Testgutachten der Lehrerin vorlegte, nahm es diese zwar zur Kenntnis, erklärte ihr aber, dass sie es in der Notengebung nicht berücksichtigen würde. Von ihrer Freundin weiß Irmgard aber, dass an der Schule von Alexanders bestem Freund solche Gutachten sehr wohl anerkannt werden. Warum also nicht an Alexanders Schule?

Stärken und Talente von Legasthenikern fördern

Lehrer an Grund- und weiterführenden Schulen sind nicht verpflichtet, eine Legasthenie anzuerkennen, also in der Notengebung zu berücksichtigen. Es liegt in ihrem Ermessen, ob sie statt der mangelnden Lese- und Rechtschreibleistungen andere Fertigkeiten in das Zentrum der Beurteilung rücken: etwa gute mündliche Leistungen. Das ist vor allem deshalb ratsam, weil legasthene Kinder und Jugendliche neben ihrer Lese- und Schreibschwäche häufig auch mit sinkendem Selbstwertgefühl zu kämpfen haben und ihre Talente und Interessen deshalb in den Hintergrund rücken. Die Berücksichtigung der Lese-Rechtschreibschwäche in der Beurteilung könnte aber helfen, diese Stärken als Vorteile zu erkennen und auszubauen.

Rechtschreibleistung nicht die einzige Grundlage für Beurteilung

Die gesetzlichen Rahmenbedingungen in Österreich und Deutschland lassen das durchaus zu, wenn auch die Entscheidungswege und Verantwortlichkeiten unterschiedlich sind. So sehen etwa Richtlinien für die Bundesländer Wien, Kärnten, Oberösterreich und Steiermark vor, dass die Schreibrichtigkeit nicht die einzige Grundlage für die Beurteilung sein solle. In Bayern wiederum entscheidet der Schulpsychologe über die Anerkennung der Legasthenie. Alle zwei Jahre muss bzw. soll man die Situation neu prüfen. Folge der Anerkennung ist der so genannte Nachteilsausgleich. Das bedeutet, dass die Rechtschreibleistung der betroffenen Kinder nicht in die Beurteilung ihrer Leistungen im Fach Deutsch einfließt. Der Ausgleich sieht zudem vor, dass den Kindern geholfen werden muss, ihre schriftlichen Arbeiten zu erledigen. Einige Schulen bieten daher Legasthenie- und/oder LRS-Stunden nach dem regulären Unterricht an. Wie wirkungsvoll dieser Förderunterricht allerdings ist, bleibt zu fragen. Legasthenien sind nämlich häufig sehr unterschiedlich, somit ist ein Legastheniker womöglich in der Gruppe nicht gut aufgehoben und bedarf eines Einzeltrainings.